An Gerrit Rietveld scheiden sich die Geister. Die einen rufen „Das kann ich auch“, wenn sie seinen berühmten Rot-Blauen Stuhl sehen. Die anderen kommen vom anderen Ende der Welt, nur um ehrfürchtig vor dem Rietveld-Schröder-Haus zu stehen.
Wir machen beides. Denn ganz ehrlich, wenn man den Stuhl als Vorbild hat, ist er ganz im Sinne von Rietveld wirklich sehr einfach nachzubauen. Und dennoch sind wir ehrfürchtig und schwer begeistert. Rietveld hatte kein Vorbild. Zu seiner Zeit war sein Können etwas unglaublich Innovatives und Neues. Und noch heute wirken Gebäude und Möbel unglaublich modern und zeitlos.
Wir sind in Utrecht. Hier wurde Rietveld geboren, hier starb er, hier verbrachte er mehr oder weniger sein ganzes Leben. Anfang des 20. Jahrhunderts arbeitete er als Schreiner in der Werkstatt seines Vaters und fertigte Möbel für die Wohlhabenderen der Stadt. Seine Kunden waren zufrieden mit den schweren massiven Tischen und Stühlen, er war es nicht.
Möbel für jedermann
Er wollte Leichtigkeit. Moderne und einfache Möbel, die in der aufkommenden Massenproduktion für jedermann erschwinglich hergestellt werden konnten. In seiner eigenen Schreinerei, die er 1917 eröffnete, begann er zu experimentieren und neuartige Möbel zu entwerfen.
Dort entstanden sein erster Kinder-Hochstuhl und auch sein berühmter Rietveld-Stuhl, am Anfang noch ganz ohne Farbe. Erst mit seinem Kontakt mit Theo van Doesburg und der Künstlergruppe De Stijl, kamen Farben ins Spiel. Die für De Stijl typischen Primärfarben Rot, Blau und Gelb, mit denen vor allem der Maler Mondrian berühmt wurde, zierten fortan häufig auch seine Werke.
Rietveld im Centraal Museum Utrecht
Im Centraal Museum in Utrecht lernen wir mehr über den Werdegang von Gerrit Rietveld. Wir entdecken Hintergründe, seine Verbindung mit der Künstlergruppe De Stijl und natürlich auch seine bekanntesten Entwürfe. Und endlich finde ich auch mal die Gelegenheit selbst im berühmten Rot-Blauen Stuhl Platz zu nehmen, der übrigens gar nicht so unbequem ist, wie er aussieht.
Natürlich ist es nicht das Original, auf das ich meinen Hintern platziere. Die beinahe hundert Jahre alten Stücke werden sorgfältig gehütet.
Auch im Rietveld-Schröder-Haus sind Handgreiflichkeiten nicht erwünscht. Leider, denn es fällt mir sehr schwer, nicht mit den eigenen Händen die Oberflächen und Konstruktionen zu berühren und zu fühlen.
In rund 20 Minuten sind wir durch Utrecht spaziert, vorbei an der von Rietveld entworfenen Chauffeurs-Wohnung, vom Centraal Museum bis zum Rietveld-Schröder-Haus. Das Museum stellt auch einige Fahrräder bereit, falls man lieber dorthin radelt. Der Eintritt und die Führung im Haus sind mit einem Aufschlag aufs Ticket fürs Museum schon bezahlt.
Das Rietveld-Schröder-Haus in Utrecht
Ohne Reservierung hat man kaum eine Chance auf einen Blick ins Innere des Rietveld-Schröder-Haus. Das Haus ist klein und nur Gruppen von max. 12 Personen können bei der einstündigen Audio-Tour teilnehmen. Und die Touren sind sehr beliebt. Menschen aus aller Welt wollen das Unesco-Welterbe einmal von innen sehen. Niederländer, Schweden und ein Paar aus dem Mittleren Osten sind in unserer Gruppe. Die Einweisung gibt es auf Englisch, die informative Audio-Tour selbst können wir auf Deutsch anhören.
Etwas seltsam klebt das Rietveld-Schröder-Haus am Ende der Reihe traditioneller Reihenhäuser. Die einfache Bauform eines sich auflösenden Kubus hat bis heute seine Kritiker. Nicht jeder kann sich über die weißen und grauen Flächen, die scheinbar locker den Innenraum umschließen, begeistern so wie ich. Lineare Elemente in Primärfarben setzen nicht nur Farbakzente, sondern verbinden die Flächen miteinander.
Kaum 50 Meter entfernt verläuft heute die Schallschutzwand der erhöhten Umgehungsstraße. Es ist schwer vorstellbar, dass dies zur Bauzeit 1924 der Stadtrand von Utrecht war. Mit nichts als grüner Natur vor der Tür.
Den freien Ausblick ins Grüne hat Truus Schröder, für die Rietveld das Haus entwarf, sehr genossen. Große und neuartige Fenster, die sich weit öffnen ließen, zelebrierten regelrecht den Blick auf die Natur. Licht und Offenheit, fließende Übergänge von innen nach außen waren Anfang des 20. Jahrhunderts etwas Neues in der Architektur. Selbst Truus Schröder, die bisher in einem sehr traditionellen Haus wohnte, musste sich nach eigener Aussage erst an so viel Ein- und Durchblick gewöhnen.
Individuelle Architektur
Als wir uns durch das relativ kleine Haus bewegen, merken wir schnell, dass Aufteilung und Einrichtung sehr individuell geplant sind. Alles ist maßgeschneidert für die verwitwete Frau Schröder und ihre 3 Kinder. Verschiebbare Wände, unterschiedliche Nutzung der Räumlichkeiten bei Tag und bei Nacht und individuell entworfene Möbel für genau diesen einen Platz.
Ich kann mir Truus Schröder auf ihrem Lieblingsplatz am großen Tisch richtig vorstellen. Das große Fenster, ohne jegliche Eckkonstruktion, weit geöffnet. Die grüne Natur mit den blühenden Apfelbäumen, die damals dort noch standen, geradezu in ihren Wohnraum integriert.
Alles im Haus wirkt unglaublich modern, auch heute noch. Und beim Anblick der gläsernen Rückwand des Briefkastens, der einen die eventuell vorhandene Post auch aus dem oberen Stockwerk erkennen lässt, wünscht man sich mehr Architekten mit guten Ideen.
„Konstruktion und Schönheit müssen keine Gegensätze sein“, soll Gerrit Rietveld einmal gesagt haben. Im Rietveld-Schröder-Haus hat er dies bewiesen und perfekt umgesetzt.
Reiseinfos
Centraal Museum Utrecht
Agnietenstraat 1, Utrecht
Das Museum liegt am Rand der Altstadt von Utrecht und ist gut zu Fuß erreichbar, oder man nimmt den Bus Nr. 2 ab Hauptbahnhof Utrecht Centraal.
Es gibt ständig mehrere feste und wechselnde Ausstellungen über Kunst, Kultur, die Stadt Utrecht und natürlich auch über Rietveld. Die besondere Ausstellung "Rietvelds Meesterwerk: Leve De Stijl!" ist noch bis zum 11. Juni 2017 zu sehen.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 11 - 17 Uhr, am 1. Donnerstag im Monat bis 21 Uhr
Eintritt: Erwachsene 12,50 Euro; Jugendliche (13 - 17 Jahre) und Studenten 5,- Euro
Für den Besuch mit Audio-Tour im Rietveld-Schröder-Haus gilt ein Zuschlag von 3,- Euro.
Rietveld-Schröder-Haus
Prins Hendriklaan 50, Utrecht
Das Rietveld-Schröder-Haus liegt etwas außerhalb der Altstadt. Vom Centraal Museum ist es zu Fuß in 20 Minuten zu erreichen oder etwas schneller mit dem Fahrrad. Routenbeschreibungen erhält man im Museum.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 11 - 17 Uhr, freitags bis 21 Uhr
Eintritt (inkl. Audio-Tour und Eintritt Centraal Museum): Erwachsene 15,50 Euro; Jugendliche (13 - 17 Jahre) und Studenten 8,- Euro
Eine Reservierung bzw. der Kauf eines Online-Tickets mit Zeitvorgabe ist dringend zu empfehlen!
Ob ihr zuerst ins Museum geht und dann ins Rietveld-Schröder-Haus oder anders herum könnt ihr selbst entscheiden.
Noch ein Tipp: Falls ihr einen Besuch am Sonntag mit dem Auto einplant, könnt ihr vor dem Rietveld-Schröder-Haus gratis parken und dann zu Fuß ins Museum bzw. in die Innenstadt.
Allgemeine Infos und Tipps über Utrecht und seine Sehenswürdigkeiten findet ihr hier auf nach-holland.de unter dem Menüpunkt Utrecht.
Ähnliche Artikel gibt es in der Kategorie Kunst, Kultur und Architektur